Der deutsche Schriftseller Oskar Maria Graf (* 1894 in Berg; † 1967 in New York) verfasste diese lustige Kurzgeschichte und veröffentlichte sie mit weiteren 30 Erzählungen im „Bayrisches Dekameron“ (1928) das dann 1970 als „Das Glöcklein unterm Himmelbett“ vom Regisseur Hans Heinrich verfilmt wurde.
Ähnlich wie Hermann Harry Schmitz gehört Oskar Graf zu den unbekannten aber genialen Schriftstellern des 20. Jahrhundert. Anfang 1933 emigriert er nach Wien (wo er auch seinen weltweit bekannt gewordenen und vielfach abgedruckten Protestbrief „Verbrennt mich!“ veröffentlichte), um dann in den nächsten Jahren über die Tschechoslowakei und die Niederland schließlich in die USA auszuwandern.

Der Theodor-Verein

Kurzgeschichte von Oskar Maria Graf

 

In Aching, einem umfänglichen Marktflecken im Niederbayrischen, woselbst sich das Finanz- und Bezirksamt sowie das Amtsgericht des Gaues befindet, im wunderschönen Aching gibt es einen seltsamen Verein: den Theodor-Verein. Er hat seine Ursache nicht etwa darin, dass es einen heiligen Theodor gibt, nein, er ist gegründet worden aus einem ganz und gar weltlichen Anlass. Bestehen tut er seit vier Jahren, Mitglieder hat er seither ganze sechzehn Männer, mehr werden es nie werden, höchstens, wenn einer in die Ewigkeit muss, weniger.

Beim Theodor-Verein ist dabei der Oberförster Jegerlochner, der Friseur Atzlinger, der Bäckermeister Sesselbacher, der Kaminkehrermeister Windmoser, der Lohnkutschereibesitzer Ignaz Pranzinger, der Wirt vom »Grünen Baum« namens Joseph Pointner, der Postinspektor Bichler, der Assessor Mirzldinger, der Gendarmeriekommandant Heuberger, der Metzgermeister Silvan Allstettner, der Gemeinderat Hintauf, der Erste Bürgermeister Simon Ederinger, der Mesner Laukner, der Viehhändler Treiml, der – halt, halt, man sieht, das sind lauter honorige Leute!

Der aber, der als eigentlicher Urheber des Vereins gilt, das ist ein Bazi, wie er im Buch steht, ist als einziges Mitglied ledig und Schlossergeselle: er schreibt sich Johann Theodor Hanf, wird aber allgemein der »Amreiter-Tederl« geheißen, weil man das Haus, von wo er heraus gekommen ist, beim »Amreiter« heißt.

Und, damit ich’s kurz sage: der »Theodor-Verein« ist so zur Welt gekommen: Nämlich eines Tages hat sich’s in Aching herumgesprochen, dass die Kellnerin vom »Grünen Baum« in anderen Umständen ist. Die Kellnerin heißt Wally, ist eine resche, prall gewachsene Person und bedient heute noch beim Pointner. Sie wird alt sein ihre achtundzwanzig Jahr, hat ein Maulwerk – um’s in unserer Sprache zu sagen – wie ein Schwert und ist immer noch begehrt weitum. Augen hat sie – ich sag’ dir, da steigt dir der Geist ins Blut, wann dich die anschaut.

Gut also, ihr Bauch ist eines Tages verräterisch dick gewesen, zu verheimlichen war nichts mehr, aber die Wally hat das kein bißl geniert.
Wenn ein Mannsbild auf sie zweideutig gelinst hat und etwa gleich gar sowas fallen gelassen hat wie: »No Wally, i moan glei gor, bei dir spukt’s! Kimmst ja daher wia a trogerte Kuah!« und wenn er gefragt hat, wer denn da der Vater sein wird, alsdann hat sich die Wally breithüftig hingestellt und unangefochten gesagt: »Zu wos san mir Weiberleit denn do, moanst? Glaabst eppa, i mächt ois a austrocknete Jungfrau sterbn, ha! … Wer der Vata is, dös werst scho derfahrn, neugieriga Tropf, neugieriga … Schaug nur, daß d’ es du it macha muaßt!«
»Hoho! Hoho!« hat auf das hin der also Angesprochene meistens herausgestoßen und war nicht mehr weiter neugierig.

Die tapfere Wally hat einen kugelrunden Buben zur Welt gebracht und der »Amreiter-Thedi« ist vorgeladen worden. Vor Gericht ist er nicht im Mindesten reumütig oder gar bestürzt gewesen.
»Fräulein Wally Heitmüller gibt Sie als Vater an«, hat der Richter zum Thederl gesagt und gefragt, ob er was dagegen einzuwenden habe.
»Dagegn? … Ja, scho«, gab der Thederl drauf Antwort. »Sie bestreiten also die Vaterschaft?«
»Na, dös net, aba dö alloanige, Herr Amtsrichter!«
»Die alleinige? … Was soll denn das heißen? Glauben Sie etwa, dass da mehrere im Spiel sind?« hat der Richter schärfer gesagt.
Und: »Ja! Jawohl, Herr Amtsrichter!« hat der Thederl geantwortet. Ganz frech und infam. »So! Und können Sie das mit Ihrem Eid bezeugen?«
»Wenn’s sei muaß, ja, Herr Amtsrichter«, sagt auf das hin der unerschrockene Thederl und lächelt ein wenig: »Aba es werd’s kaum braucha …« Der Richter hat den trockenen Kopf gehoben. Baff war er.
Der Thederl aber hat sich fester hingestellt und hat das Aufzählen angefangen, ganz sachlich, ganz gemütlich. »Also«, hat er gesagt: »Do is amoi der Pointnerwirt selba, nacha der Herr Oberförster Jegerlochner, nachha der Metzger Allstettner, der Hintauf, der Bürgermoasta, der – – –«
»Tja, Tja … Wa-was soll – Unsinn! … Beleidigen Sie doch …!« schrie der Richter. Er ist einer, der – wie man bei uns sagt – zum Lachen in den Keller hinuntergeht und ewig ein Gesicht macht, als hätt’ er Essig gesoffen. Aber der Thederl ist gar nicht anders geworden.
»Nana, beleidigen? … Koa Red davo, Herr Amtsrichter … Nana, aba dö Herrn kunntn ja selba aa kemma, wenn’s sei muaß!«, hat er kreuzruhig gesagt und auf das hin ist die Verhandlung vertagt worden.

Beim Pointner, im »Grünen Baum«, haben den Thederl alle »Väter« urfidel empfangen. Der ganze Marktflecken hat über diese niederträchtigen Ehebrecher getobt und natürlicherweise hat es da und dort, bei so einem honorigen Menschen daheim, eine hitzige Ehestreiterei gegeben.
»A so a Loadsau … A so a Dreckfetzn!« haben die entrüsteten Weiber von Aching über die Wally geschimpft. Die hingegen hat sich gar nicht versteckt und kühn ist sie jeden Tag mit dem Kinderwagerl durch die Straßen gefahren. »Ös?« hat sie zur bissigen Reblechnerin gesagt: »Ös …? Ös derhoits ja net amoi oa Mannsbild, aba bei mir kinna zwanzge kemma, nachha bin i oiwai noch ganz!«

Und richtig: Theodor hat der Bub geheißen, dem Buchstaben nach scheint der »Thederl« auch Vater zu sein, hingegen die Alimente – pro Mann vier Mark im Monat – zahlt jedes Vereinsmitglied pünktlich am Ersten.
»Bei sechzehne trogt sich a Kind aus«, sagt die Wally: »Do gibt’s aa koane Streitigkeitn! Wenn oana so wenig zoin muaß für sei Todsünd, riskiert er’s gern!«
Und jedesmal, wenn es sehr laut und lustig zugeht im »Grünen Baum«, dann ist ganz gewiss der Theodor-Verein beisammen.

Dekameron

Der Titel des Sammelbandes „Das bayrische Dekameron“ bezieht sich auf „Das Dekameron“ (griechisch, zu Deutsch „Zehn-Tage-Werk“) von Giovanni Boccaccio. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von 100 Novellen die zwischen 1349 und 1353 verfasst wurden. Das Werk beschreibt das Leben einer Gruppe von 7 Frauen und 3 Männern, die vor der in Florenz wütenden Pest auf ein nahe gelegenes Landhaus geflohen sind, und umspannt von tragischen bis zu erotischen Elementen die gesamte literarische Klaviatur.

Genau wie Boccaccio bedient sich auch Graf des Dialekts in den wörtlichen Dialogen, um den Lokalkolorit hervorzuheben, und um mit wortgewaltiger Komik über Erotik und Bauernschläue zu berichten. Das führt auch dazu, das die Bairisch-Einschübe gewissen Landsleuten (Preißn) einige Schwierigkeiten bereiten dürften.